„Hybrid“ lautet die Erfolgs-Formel für die post-pandemische Arbeitsorganisation. Das klingt gut, einfach, smart und machbar. Und doch sind hybride Lösungen meist zum Scheitern verurteilt. Warum es nicht reicht, einfach das eine zu tun, ohne das andere zu lassen – eine Anregung zur Diskussion.
So schön könnte es sein…
Meist freut man sich, wenn man ein Muli sieht – und dann löst es Mitleid aus: Als Produkt einer impulsiven Liebesaffäre von Pferd und Esel ist das Schicksal der Maultiere besiegelt. Auch wenn sie mit etwas Glück ein friedliches und leistungsfähiges Leben führen – sie werden sich nie fortpflanzen.
Die Zoologie bezeichnet Maultiere als Hybride. Im weiteren Sinne stellt ein Hybrid die Mischung oder Kombination von zwei Entitäten, Systemen oder Ansätzen dar: zwei Antriebssysteme (Hybridautos), zwei politische Systeme (die Verbindung von Föderalismus und nationaler Souveränität der Europäischen Union), zwei strategische Ansätze (die Kombination von Preis- und Qualitätsführerschaft).
Hybridlösungen wirken gerade in Unternehmen attraktiv, da sie sowohl auf inhaltlicher als auch auf zwischenmenschlicher Ebene Vorteile suggerieren:
- inhaltlich erscheinen sie als Win-Win-Lösung, indem sie die Vorteile von zwei Philosophien kombinieren – oft wird dabei der neuere Ansatz dem älteren hinzugefügt: „Was wäre, wenn wir die Kraft und den Status eines großen Motors anbieten – und das grüne Gewissen (bzw. den Steuervorteil) eines Elektroautos?“
- zwischenmenschlich locken sie als scheinbar smarter Ausweg bei aufreibenden Entscheidungskonflikten: „Lass uns einfach beides tun – lass uns einfach beides sein“. In diesem Fall sind sie meist das Erleichterung versprechende Ende einer komplizierten Diskussion in Form eines Kompromisses: „Wer sagt uns, dass wir nicht schlau genug sind, billig und hochwertig anzubieten?“
Leider nur sind diese Vorteile nicht unbedingt von Dauer.
Die Kombination von Merkmalen erzeugt zunächst größere Komplexität – und damit Potenzial für Ineffizienz und Anfälligkeiten. In einem Hybridfahrzeug gibt es mehr Fehlerquellen als bei einem vergleichbaren Verbrenner. Und Konflikte durch das einfache Umgehen von Entscheidungen zu lösen schwächt die Klarheit der entstehenden Kompromisse nach außen. Wer alles ist, verliert an Erkennbarkeit.
So manche Hybridlösung erscheint daher inkonsequent und anfällig, wenn sie unter realen Bedingungen getestet wird. Diese Maultiere der Geschäftswelt werden zu einer Fußnote der Geschichte.
Die einfache Kombination von Merkmalen zu einer Hybrid-Lösung ist vielleicht kurzfristig wirksam, aber langfristig meist nicht ausreichend. Sie wird erst dann nachhaltig Erfolg versprechend, wenn aus ihr etwas erwächst, das durch die Identität des Ganzen bestimmt ist und nicht durch die Summe der Teile. Daher zeichnen sich erfolgreiche Hybride dadurch aus, dass sie nicht mehr als Hybrid wahrgenommen werden. Sie haben eine eigenständige, reproduzierbare Identität entwickelt. Der Hybrid war dann eine Zwischenlösung auf dem Weg zu etwas Neuem. Während das Mobiltelefon der 1990er Jahre durch das Hinzufügen von immer mehr Funktionen im Laufe der Zeit immer komplizierter wurde, hält man heute ein „Smartphone“ in der Hand. Die Entwicklungslinien sind zurückzuverfolgen, aber sie definieren nicht das Produkt. Das gilt in Biologie wie Wirtschaft.
Warum ist diese Unterscheidung wichtig? Nun, aktuell ist die Nachfrage nach Hybridlösungen besonders groß. Die Welt will Klimaschutz UND wirtschaftlichen Erfolg, Selbstverwirklichung UND Beziehungen, Effizienz UND Wandel. „Und“ ist der neue Imperativ – wir leben scheinbar in hybriden Zeiten. Doch für all diese Themen gilt: Sie fordern Entscheidung, sie fordern Gestaltung. Sie fordern Anstrengung. Die großen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht lösen, indem man einfach bestehendes kombiniert und dann so weiter macht, wie bisher. Sie werden nur dann bewältigt werden, wenn sie als Ganzes neu und zukunftsorientiert gedacht werden. In aller Konsequenz.
Die Rückkehr in die Büros – oder doch nicht? Wie Sie aus Ihrem Unternehmen ein Muli machen
Der neuste Hybrid ist mit dem scheinbaren Ende der Pandemie für die meisten von uns nun ganz praktisch greifbar: die hybride Organisation ist die zurzeit meist diskutierte Antwort auf die Frage danach, wie es weitergehen kann und muss mit der Gestaltung der Arbeit. Doch was steckt dahinter und wie können wir dafür sorgen, dass hier mehr als ein Muli entsteht?
Dazu ein Rückblick: Nach der Schließung der Büros, nach den ersten Monaten des Schocks und der unmittelbaren Veränderung taten die Menschen, was sie immer tun – sie passten sich an. Und während sie das taten, fanden sie heraus, dass – ob sie es mochten oder nicht – das Arbeiten außerhalb des Büros ihre Perspektive veränderte. Das Home-Office bot ihnen mehr Autonomie, mehr Freiheiten, mehr Zeit zum Kochen und für die Familie – und vielleicht auch mehr Herausforderungen in Form von Rückenschmerzen, Kinderbetreuung, endlosen Video-Meetings und häufig auch Einsamkeit. Diese Erfahrungen lassen sich nicht wegwischen. Wir haben die Frucht probiert und wissen, wie sie schmeckt. Ein einfaches „Zurück“ ist daher für die meisten Menschen im Unternehmen nicht mehr möglich. Die Frage nach dem „wie und wo“ der Arbeit fordert Aufmerksamkeit.
Zugleich stehen Unternehmen im Markt auch noch vor vielen weiteren Herausforderungen. Und Arbeitsorganisation steht als Thema ohnehin nicht unter „Sexyness“-Verdacht. Im Gegenteil: Es spielte in der Wahrnehmung vieler Entscheider*innen in Unternehmen traditionell wohl eine eher untergeordnete Rolle – abgesehen vielleicht von der Produktion und der „Erfindung“ der Kaffee-Automaten als vermarktbare Kommunikationsinseln.
Dies sind perfekte Rahmenbedingungen, um eine einfache Lösung zu verkaufen, die dann unter „Hybrid“-Siegel zur Innovation bestimmt wird.
Das Rezept für eine Negativ-Dynamik geht dann so: Sie haben als Unternehmen ohnehin gerade viele Sorgen und zudem weder Zeit noch Lust, sich lange mit der Frage der Arbeitsbedingungen auseinanderzusetzen. Außerdem ist Ihnen während der vergangenen zwei Jahre viel Kontrolle (oder auch Glanz, Effizienz, Spaß, Image etc.) verloren gegangen. Jetzt gehen Sie, ohne es bewusst zu entscheiden, zum Beispiel in eine der drei folgenden Rollen:
- Harter Hund (m/w/d): Sie ordnen an: „Alles wieder wie früher!“, „Alle zurück ins Büro!“ – oder auch „Wir schaffen die Büros ab!“, „Jedes Team soll halt selbst entscheiden – nur kosten darf es nichts!“. Nächstes Thema
- Pop-Star (m/w/d): Sie haben erkannt, was gerade angesagt ist. Diese Image-Welle gilt es jetzt zu reiten: „Wir haben so wahnsinnig viel gelernt. Das war eine so befreiende Erfahrung. Bei uns ist in Zukunft alles möglich. Der Mensch entscheidet“. Nächstes Thema. “
- Verdränger (m/w/d): Sie haben gerade echt so viele Themen auf dem Tisch. Natürlich müssten Sie sich darum kümmern, wie gearbeitet wird – doch wenn Sie kein Geld verdienen, stellt sich die Frage bald gar nicht mehr. Außerdem wissen Sie auch nicht so recht, wie Sie das Ganze eigentlich angehen sollten. Also lieber: nächstes Thema.
Ab jetzt wird es brodeln. Sie haben je nach Lösung nun Mitarbeitende, die vielleicht gezwungenermaßen wieder in ihren Büros sitzen, die sich gegängelt fühlen und um die Anerkennung der Leistung im Home-Office gebracht – „erst war es toll, wie flexibel wir waren, jetzt müssen wir wieder unflexibel sein“. Oder Sie haben bei einer vollständig freien Struktur mit reiner Remote-Arbeit die Frage, womit sich jeder und jede Einzelne jetzt eigentlich identifizieren soll, wenn es keinen Ort mehr dafür gibt. Kombinieren Sie die Ansätze, können Sie zudem mit einer Reihe von Konflikten und Gruppenbildung rechnen, wenn es die Office- und die Remote-Fraktion gibt. Und ganz abgesehen davon wird es Reibungsverluste an den Schnittstellen geben, und das Ganze wird Sie eine Menge Geld kosten.
Maultier.
Der Weg zu etwas Neuem, das trägt
Die hier gezeigte, etwas dystopische Vision soll nicht davon ablenken, dass viele Unternehmen und Unternehmer*innen gerade tatsächlich intensiv auf der Suche nach Lösungen für die Zukunft der Zusammenarbeit sind. Das geht uns bei Profil M nicht anders als Ihnen.
Was kann also getan werden? Wie schaffen wir etwas Neues, das Potenzial hat zu wachsen?
Eins ist für die meisten Unternehmen gegeben: Es muss eine Arbeitsform entstehen, die nicht durch das „wo?“ bestimmt ist, sondern durch das „wozu?“. Die „berufliche Heimat“ kann dabei nicht mehr nur ein Identität stiftender Ort sein – sie muss auf anderen Wegen entstehen. Es braucht einen Weg der Akzeptanz, des Engagements und der kreativen Gestaltung, wenn eine nachhaltig funktionierende Lösung entwickelt werden soll. Im Kern geht es um Initiative, um Führung.
Die Frage nach der Arbeitsform löst sich nicht von allein, zumindest nicht gut. Es wird dem Ergebnis anzumerken sein, ob es ein Zufallsprodukt oder eine bewusst und aktiv gestaltete Lösung ist. Genauso, wie Home und Office nicht zu einer stimmigen Einheit werden, bloß weil man sie zu einem Wort kombiniert, wird auch die Auflösung und Neu-Kombination von Arbeitsformen, -orten und -zeiten nicht für sich schon ein stimmiges Bild ergeben.
Es macht einen Unterschied, ob Sie ein Unternehmen sind, in dem einige Leute manchmal zu Hause arbeiten und andere nicht – oder ob Sie ein Unternehmen sind, das um Rollen und Aufgaben herum organisiert ist und nicht um Orte. Im ersteren Fall haben Sie einfach eine unorganisierte Mischung, bei der höchstwahrscheinlich einige das bekommen, was sie wollen, während andere frustriert werden. Im letzteren Fall haben Sie die Entscheidung getroffen, dass der Ort einfach kein zentraler Teil Ihrer Identität als Unternehmen ist. Sie haben vielleicht noch ein Büro, Sie haben vielleicht noch Leute, die regelmäßig dorthin kommen. Aber das ist das Ergebnis eines Diskussions- und Entscheidungsfindungsprozesses – kein Zufall.
Wie Sie dahin kommen? Wie so oft stehen vor den richtigen Antworten die richtigen Fragen. Vielleicht helfen als Anstoß des Diskussionsprozesses die folgenden drei, denen Sie sich mit unterschiedlichen Formaten und mit unterschiedlichen Graden der Beteiligung nähern können:
- Die Frage nach der Identität: „Wer wollen wir sein?“. Wie oben beschrieben, ist die Form der (Zusammen-)Arbeit eine Grundlage für das Erleben des Unternehmens.Blicken sie nach Außen und betrachten die sich verändernden Rahmenbedingungen, in denen Sie sich bewegen: was bedeuten diese für Ihre Strategie, also für Ihre Antworten darauf, wo und wie Sie erfolgreich sein wollen? Blicken Sie nach Innen und fragen sich, welche Art von Unternehmen Sie sein wollen, welche Werte für Sie wichtig sind, was den Kern Ihrer Organisation ausmacht.Was auch immer Sie gestalten, muss die Identität Ihres Unternehmens zum Ausdruck bringen – diskutieren Sie also zunächst einmal, ob Sie hierzu eigentlich eine Antwort haben. Nehmen Sie sich Zeit für diese Frage hinter der Frage nach der Arbeitsform – das wirkt wie ein Umweg, macht alles andere danach aber deutlich klarer.
- Die Frage nach der Funktionalität: „Was macht Sinn?“. Wenn Sie Ihre Schnittstellen und Abläufe betrachten, werden sich viele Herausforderungen ergeben, wenn Menschen zukünftig zumindest teilweise an anderen Orten arbeiten. Es wird weniger zufällige Begegnungen geben, weniger Meetings mit Teilnehmenden vor Ort und woanders. Fragen Sie sich also, welche Struktur für Ihre Arbeit funktioniert. Wie entstehen Effizienz, Qualität un Innovation? Was fördert Fokus, Lernen und Entwicklung? Welche Form der Zusammenarbeit führt Sie in die Zukunft, die Sie strategisch anstreben? Gehen Sie vom Ergebnis aus das Sie anstreben, und denken Sie zurück: welche Prozesse und Strukturen bringen uns dorthin? Eine gute Gelegenheit, zu verschlanken und zu verbessern.
- Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit: „Was wollen wir uns leisten?“. Büroflächen haben oft längerfristige Mietverträge, Umbauarbeiten sind kostspielig, aber auch eine echte Home-Office-Lösung ist aufwändig und erfordert Ressourcen. Schaffen Sie also Transparenz über die finanziellen Auswirkungen unterschiedlicher Lösungsansätze. Diskutiere Sie Optionen und wägen Sie kurz- und mittelfristigen Nutzen mit den notwendigen Investitionen ab. Welche Signale wollen Sie setzen? Was ist notwendig?
Beginnen wir zu bauen
Wer wir als Individuen oder als Unternehmen sind, wird durch das definiert, was wir tun. Und was wir tun, wird stark davon beeinflusst, wo wir es tun und wie wir es gemeinsam als Team tun. Das bedeutet, dass wir gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass ein Unternehmen nicht durch einen Ort definiert ist, eine Struktur schaffen müssen, die den Ort ersetzt und die in der Lage ist, zu integrieren und zu lenken. Die Frage nach der Struktur der Organisation führt noch immer zum Kern eines jeden Unternehmens. Sie ist die Basis, auf der sich eine Kultur entwickeln kann. Und wie auch immer sie aussehen wird, sie muss dem Test der Zeit standhalten. Durch die größere Unabhängigkeit vom Ort wird sie nicht weniger wichtig, sondern relevanter.
Welches Format Sie auch immer für die Suche nach einer Lösung wählen, nehmen Sie sich Zeit, die Antworten auf diese Fragen und die unterschiedlichen Perspektiven auszuloten, bevor Sie Fakten schaffen. Gehen Sie in den Modus des Lernens, des Beginnens, schaffen Sie Raum für Experimente. Denn wie Sie auch anfangen, Sie werden lernen müssen. Also machen Sie sich darauf gefasst, dass Ihre Lösung nicht perfekt – oder sogar gar nicht – funktioniert.
Bei Profil M sprechen wir im Moment ständig über hybride Arbeitsorganisation. Doch wenn wir das tun, behalten wir immer im Hinterkopf, dass sie nicht hier ist, um zu bleiben. Sie wird zu einer neuen Form der Zusammenarbeit führen, die sich nicht mehr durch Orte oder Gebäude definiert – sondern durch Beziehung und Zweck. Sie wird nicht hybride Organisation heißen, sondern einfach nur gute Organisation. Wie genau das aussehen wird? Nun, lassen Sie es uns herausfinden.